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Das klassische Leib/Seele-Problem

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cavewoman
am 24.11.08
Das klassische Leib/Seele-Problem
Schon die griechische Antike spekulierte über Seele und Geist. Doch die Idee des “Mentalen”(geistig und seelisch) auf eine Situation einstellen) - eines einzigartigen, nichtphysikalischen (nicht real, vorhanden) Bereichs von Phänomenen - entwickelte sich erst im 17. Jahrhundert, nachdem der französische Philosoph René Descartes“ bewies”:
Wir müssen aus einer “ausgedehnten Substanz”, dem Körper (res extensa), und einer “denkenden Substanz” (res cogitans) zusammengesetzt sein, die Bewusstseinszustände wie Gedanken, Erinnerungen, Sinneseindrücke, Wünsche, Gefühle und Vorstellungen umfasst.
Dualisten (Experten die existens der Materie einräumen) fiel es schwer zu erklären, wie ein “immaterieller” Geist jemals mit Materie wechselseitige Kausalbeziehungen eingehen kann, wie offenbar bei Wahrnehmungen und Handlungen.
(Andere Spielarten des Dualismus – Okkasionalismus „Lehre von den Gelegenheits-ursachen“, Parallelismus „geistige und materielle Ereignisse folgen je eigenen Regularitäten und wirken nicht aufeinander ein, entsprechen sich aber gleichwohl“,. Epiphänomenalismus „für jede Handlung bereits eine physische Ursache gebe“, - helfen hier ebensowenig weiter wie Descartes´ Interaktionismus.)
Materialisten andererseits rangen mit der Schwierigkeit, dass seelisch-geistige Zustände vielerlei Merkmale aufweisen, die in der physischen Welt anscheinend ihresgleichen suchen: darunter Bewusstsein, Intentionalität, Unräumlichkeit, Privatheit, zweifelsfreie Gegebenheit, subjektives Erscheinen.

Der “Linguistic Turn” und die sprachanalytische Behandlung des Leib/Seele-Problems
Aus diesem Dilemma versprach Anfang des 20. Jahrhunderts der “Linguistic Turn”, die “sprachanalytische Wende” in der Philosophie, einen Ausweg. Übereinstimmend argumentierten der Wiener Kreis um Rudolf Carnap und die Oxforder Schule um Gilbert Ryle: Sorgfältige Untersuchungen unserer Sprachlogik zeigen, dass wir uns mit Ausdrücken wie “denken”, “fühlen”, “empfinden” oder “wünschen” nicht etwa auf gespenstische innere Episoden in einer von außen unzugänglichen Privathöhle beziehen, sondern auf beobachtbares Verhalten und seine äußeren Umstände. Die Frage, ob jene inneren Episoden eher materieller oder immaterieller Natur sind, stelle sich deshalb gar nicht erst. Das Leib/Seele-Problem sei ein metaphysisches Pseudo-Problem, Dualismus wie Materialismus böten begriffsverwirrte “Lösungen” an, wo “aufgelöst” werden müsse.

Die Entwicklung des modernen Materialismus
Mitte der fünfziger Jahre, als mit dem allmählichen Niedergang des “Analytischen” Programms auch die Schwächen von Carnaps und Ryles “Logischem Behaviorismus” immer deutlicher wurden, drohte eine Renaissance des Dualismus. Ihn abzuwehren, trat der Materialismus erneut auf den Plan: Gestützt auf einen “Wissenschaftlichen Realismus”, unternahm er in seinen drei wichtigsten Spielarten - Identitätstheorie, Eliminativer Materialismus, Funktionalismus - nacheinander drei Anläufe, eine Theorie des Geistes zu entwickeln, die aus der Sackgasse des klassischen Materialismus herausführt.
Dem wesentlich “subjektiven”, “phänomenalen” Charakter unserer Bewusstseinszustände wird der heutige Materialismus ebenso gerecht wie ihrer “Intentionalität”, ihrer sonderbaren Fähigkeit, gleichsam über sich hinauszuweisen und sich auf andere Objekte zu beziehen; unseren Handlungen und ihren Gründen ebenso wie unserer Identität, Kreativität, Freiheit und Verantwortung; ja, selbst paranormalen Erscheinungen.

Das Leib/Seele-Problem löst sich auf
Hat sich das Leib/Seele-Problem damit letztlich doch gelöst – im materialistischen Sinne? Um eine weitere “Verteidigung des Materialismus” geht es hier nicht. Tatsächlich verdanken wir dem modernen Materialismus weniger eine wiederbelebte Theorie des Mentalen als eine Fundgrube guter Argumente dagegen, bestimmten Phänomenen, nur weil sie in irgendeiner Hinsicht außergewöhnlich sind, das Etikett “mental” anzukleben. Soweit es diesen Argumenten gelingt, den Dualismus abzuwehren, “bestätigen” sie nicht etwa, wie recht der Materialismus immer schon hatte - sie erübrigen ihn, ja, sie entleeren ihn jeglichen Sinns.
Sie zeigen, was Hume, Kant und Ryle zu zeigen versuchten: Wir sitzen einem Pseudoproblem auf.
Es stellt sich heraus, dass Materialisten wie Dualisten seit drei Jahrhunderten ihr Thema verfehlt haben, irregeführt durch Descartes´ Fehlschluss von einer unhaltbaren erkenntnistheoretischen Unterscheidung (zwischen Bezweifelbarem und absolut Gewissem) auf eine ontologische Kluft. Die Idee des “Geistes” war die Idee eines Fundaments von unerschütterlichen Gewissheiten, auf dem all unsere Überzeugungen rekonstruiert werden können und müssen, ehe sie zu Wissen werden. Diese Idee beherrschte jahrhundertelang die Philosophie, weil sie ihr zu einem neuen Selbstverständnis verhalf, das ihr Überleben im Zeitalter der Naturwissenschaften sicherte. Denn sie bewahrte ihr einen eigenen Gegenstandsbereich (das Reich des Mentalen), eine eigene Methode (Bewusstsein und Introspektion), dazu ihren traditionellen Anspruch auf notwendige Wahrheit und Letztbegründung.
Das Leib/Seele-Problem aufzulösen erfordert, diese Idee zu erschüttern. Dazu rekonstruiere ich Argumente von Ludwig Wittgenstein, Wilfried Sellars und Richard Rorty.
Mit dem Leib/Seele-Problem verschwindet mehr. Seine Auflösung wirft ein bezeichnendes Licht auf die akademische Philosophie der Neuzeit auf die Natur ihrer Fragestellungen, die Eigenart ihres Forschungsbereichs, den Erkenntniswert ihrer Methoden, den Status ihrer Theorien. Mit der Idee des Mentalen verliert dieses Fach die Hauptstütze einer Ideologie, durch die sie sich als Wissenschaft neben anderen legitimiert hat, und Ersatz ist nicht in Sicht.
Gemessen an ihren eigenen Ansprüchen, hat die Philosophie als eigenständiges Fach im Universitätsbetrieb keine Existenzberechtigung mehr; denn installiert wurde dieses Fach in staatlichen Bildungsprogrammen zu Zeiten, als es noch unbedarft mit dem Versprechen antrat, den ganzen Rest von Wissenschaft und Kultur vor den Richterstuhl der reinen Vernunft zu zitieren. Kultuspolitiker richten ihm besser Lehrstühle im historischen Seminar ein - und beschränken es auf eine distanzierte Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte, die klar genug ausfällt, um Wissenschaftlern und Laien, wenn sie ins Philosophieren geraten, die begrifflichen Ab- und Irrwege der eigenen Vergangenheit zu ersparen.
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